Mein letzter Monat hier trägt einen leicht surrealen Charakter; und das hängt vermutlich nicht zuletzt damit zusammen, dass sich alles dem Ende zuneigt. (Vielleicht aber auch damit, dass Deutschland tatsächlich und wahrhaftig den Grand Prix gewonnen hat…aber das ist eine andere Geschichte!)
Das ganze begann mit Flos 21. Geburtstag. Der Gute kam auf die nicht ganz unbescheidene Idee, zu seinem Ehrentag eine Ziege schlachten zu lassen und das ganze Dorf einzuladen.
Die Ziege hatte dann eher die Dimension einer kleinwüchsigen Kuh und wurde komplett zu Curry verarbeitet. Spätestens als die Kinder mit gegrillten Ziegengeschlechtsteilen am Spieß durch die Gegend rannten wurden Erinnerungen an Indiana Jones wach…
Jedenfalls war es eine nette Gelegenheit, die ganzen anderen Freiwilligen wieder zu treffen und Erfahrungen, Ideen und Läuse auszutauschen.
Danach ging der Unterricht endlich wieder so richtig los, und ich habe mein Deputat von bescheidenen 6 Wochenstunden auf stolze 15 angehoben. An der Schule im Nachbardorf zu unterrichten ist eine ganz neue Erfahrung, wird hier doch überwiegend – aus Lehrermangel und überzeugung – mit dem Fernsehr unterrichtet. Dementsprechend gewöhnungsbedürftig ist es vor allem für die jüngeren Schüler, tatsächlich mit einem Lehrer konfrontiert zu warden. Umso dankbarer sind dann aber die älteren Schüler (10-13 Jahre alt), die sich darum reißen dass ich auch ja pünktlich zum Unterricht komme, bis zur letzten Minute unterrichte und ihnen beim Tanzen zuschau (letzteres gilt insbesondere für die Jungs der Fünften Klasse).
Die ersten Tage habe ich mit Tobias aus Dänemark unterrichtet, was ein großer Spaß war – nicht nur weil die kleinen Jungs die ganze Zeit seine stolze Armbehaarung streicheln wollten, sondern auch weil er auf die geniale Idee kam, der sechsten Klasse so essentielle Vokabeln wie goatee (Ziegenbart) und sideburns (Koteletten) beizubringen – frei nach dem Motto – wer braucht schon “How are you?” wenn man doch den Smalltalk auch mit “What type of beard do you like best?” beginnen kann?
Leider musste sich Tobias dann auch schon wieder verabschieden; und seine unschlagbaren deutschen Witze werden in Kok Payom fehlen – beispielsweise führte er unsere Fähigkeit, scharf zu essen, auf “das deutsche Panzermund” zurück und versuchte unserem Nachbarn “Das ist ein Befehl!” als typisch deutsche Höflichkeitsformel beizubringen. Außerdem nannte er mich nur noch “Fräulein Rohrer” und Flo “Doktor Schnabel” und integrierte begeistert neue Vokabeln wie “Schnabeltasse” in seinen umfangreichen deutschen Wortschatz.
Zum Abschied gab es noch eine stattliche Sammlung an VCDs und DVDs für unser “Wohnzimmer”, den Gemeindepavilion (Sala); soll heißen ich kann mir jetzt immer “New Moon” und “Hitman” mit Chuck Norris anschauen, wenn mir der Sinn danach steht, und natürlich pathetische Reden und Essen bis zum Umfallen.
Tobias schrieb seine Rede löblicherweise selbst auf Thai und wählte eine Einleitung, die so schnell keiner vergessen wird (“Als ich das erste Mal nach Kok Payom kam, dachte ich alle währen total verrückt und rauchen die ganze Zeit Marihuana”).
Nachdem Tobias ging kamen dann zwei Thai-Volunteers dazu, Bia (heißt auf Thai “Bier”, ist aber in diesem Fall die Kurzform von Arabia) und Aleef (die Langform von Ali, quasi). Erstere ist eine junge Studentin aus Hat Yai die sich mit dem Englisch sehr zurückhält (warum auch nicht, sie studiert es ja nur?) und für stolze vier Monate in Kok Payom bleibt; zweiterer trägt gerne enge T-Shirts, spricht fleißigst Englisch (wie könnte er auch sonst mit den internationalen Freiwilligen flirten?) und verbringt seinen Monat hier damit, laut vor sich hinzusingen und Kunstwerke zu schaffen (z.B. ein Aschenbecher aus Muscheln, in Form eines Huhnes). Diese Woche noch kriegen wir einen neuen Japaner, von dem das Dorf schon feste Vorstellungen hat, immerhin muss er ja die Lücke ausfüllen, die Daisuke gelassen hat. Der Ärmste – hoffentlich raucht er auch wie ein Schlot, wiegt weniger als 55 Kilo, ernährt sich von Cola und spricht kaum Englisch; sonst kann er dem Druck vielleicht nicht standhalten…
Außerdem hat die Regenzeit so richtig kräftig angefangen, inklusive ungeheurer Moskitoschwärme 24h am Tag (uns wurde versicht, dass sie gefährliche Krankheiten übertragen). Als Nebeneffekt verbringen die Fischermänner mehr Zeit bei uns am Fischerpier; und in Folge dessen ist offensichtlich die Pubertät in Kok Payom ausgebrochen. Ich meine, schon davor bekam ich manchmal Extra-Aufmerksamkeit von der betagten männlichen Dorfbevölkerung; aber inzwischen bin ich hier wohl die Herzenbrecherin bei über dreißigjährigen Fischern, Tourguides und Minivanfahrern.
Eine etwas skurrile Situation ergab sich, als ich dann mit einem überaus ernsthaften Verehrer zum Seafoodfestival in Songkhla fuhr. Unglücklicherweise lungerte mein anderer Verehrer, der Minivandriver, an der Busstation rum; und nachdem er dem Irrtum unterlag, dass ich mich meinem festen Freund unterwegs sei, trug er seinem Busfahrerkollegen auf, ohne uns abzufahren.
In Hat Yai trafen wir dann Jasper und Kai, zwei andere deutsche Freiwillige, was meinen armen Thaifreund etwas deplatzierte – hatte ich doch weder Interesse an ihm, noch konnte er Englisch oder geschweige denn Deutsch verstehen.
Wir aber zumindest hatten unseren Spaß und verzehrten Meeresfrüchte in allen Variationen, um im Anschluss zwei Türme Bier in einer Strandbar zu vernichten.
Mein zweiter Ausflug der besonderen Art ging nach Satun; da ich dem Sohn unseres Dorfpräsidenten (ich nenne ihn nur noch Dave Power) versprochen hatte, mal an der Schule seines ehemaligen Englischlehrers vorbeizuschauen. Letzterer entpuppte sich dann als 30 Jahre jung und der erste Abend endete nach reichlich Bier zusammen mit den beiden in einer Gogo-Bar in tiefsten muslimischen Süden Thailands. Während Dave Power seine rudimentären Italienischkenntnisse an mir erprobte (“Ti amo”) überzeugte sein Lehrer mit ausgefeiltem Deutsch (“This is a kaput boy!”).
Am nächstem Morgen durfte ich dann mit kräftigem Schlafdefizit vor der Vollversammlung der 800 Schüler des technischen Werkgymnasiums eine Rede halten und danach die unterschiedlichen Klassen besuchen. Geglänzt haben die Schüler mit ihrem nicht vorhandene Englisch zwar nicht unbedingt, die beiden Ladyboys die mir aber einen Avril-Lavigne-Song vorgesungen haben, haben mich zugegebenermaßen aber doch beeindruckt.
Der Tag fand seinen angemessenen Abschluss, als der Lehrer in seiner Wohnung am Nachmittag plötzlich anfing, Cola mit Kräutern auf einem Gaskocher aufzukochen. Bevor er dem Gebräu Hustensaft (zumindest vermute ich, dass die ominöse braune Flasche aus der Apotheke das enthielt) zusetzte, schloss er alle Türen und Fenster. Dann sah er sich zusammen mit Dave Power wild kichernd Dokumentationen über Wildschweine an; was für mich das Zeichen war, mich zurückzuziehen um eine Tüte Schlaf abzukriegen.
Von all dem mal abgesehen ging das Leben hier in Thailand aber seinen gewöhnlichen Lauf; neuerdings halten wir jetzt gemeinsam mit unserem Nachbarn Hühner in unserem Garten und die gute alte Jasmin auch wieder Junge (unsere andere Katze, die aussieht wie Hitler, nennt sich Muschi), womit wir jetzt drei erstaunlich gesunde neue Babykatzen besitzen (das vierte war schon lange im Zustand der Todesstarre, als ich ihm eine angemessene See…oder besser Kanalbestattung organisierte) und demnächst “Meine kleine Farm” nachstellen können. Vielleicht sollten wir uns auch eine Ziege zulegen…?
Achja, meine Studienplatzzusage habe ich auch gekriegt; innerhalb rekordverdächtiger 10 Stunden nachdem ich die Bewerbung online (am Sonntagmittag) abschickte, persönlich mit “Herzlich-Willkommen”-e-mail.
Soll doch nochmal einer behaupten, dass die Welt nicht ungerecht ware…